Anwendungskompatibilität mit Windows 7 – ein Erfahrungsbericht

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Windows 7 baut in vielerlei Hinsicht auf Windows Vista auf: sehr ähnliche Kernel-Architektur, gleiches Treibermodell usw. Das führt zu der Annahme, alles, was auf Windows Vista laufe, sei prinzipiell auch auf Windows 7 lauffähig. Oft ist das auch so, aber eben nicht immer. Mit Sicherheit kann man nur sagen: die Wahrscheinlichkeit, daß es funktioniert, ist sehr hoch!

In den letzten Wochen habe ich meinen privaten PC mit Windows 7 neu installiert. Der PC steht in meinem Studio und wird zur Musikproduktion eingesetzt. Das bedeutet: sehr viel Hardware wie MIDI-Keyboards und Drum Pads, Fernsteuerungen für die Audio-Bearbeitung oder spezielle Audio-Interfaces mit Firewire-Anschluß sowie Software für den professionellen Studio-Betrieb (z.B. Steinberg Cubase und Wavelab). Alle Komponenten sind für Windows Vista x64 freigegeben, Treiber existieren und funktionieren auch völlig problemlos. Die Versuchung war daher groß, es mal mit Windows 7 zu probieren. Dafür habe ich eine Neuinstallation vorgezogen, um eventuell auftretende Probleme während der Installation der einzelnen Komponenten besser isolieren zu können.

Die möglichen Kompatibilitäts-Probleme lassen sich in einige Kategorien eingliedern, und ich bin auch tatsächlich über jede einzelne Kategorie gestolpert. Diese Kategorien sind:

  • Funktioniert problemlos
  • Funktioniert im Kompatibilitäts-Modus ohne Einschränkungen
  • Funktioniert im Kompatibilitäts-Modus, jedoch mit Einschränkungen
  • Funktioniert überhaupt nicht!

1) Funktioniert problemlos!

Zu dieser sehr erfreulichen Kategorie gehörte die Installation des Betriebssystems selbst. Die lief einfach durch, wie gewohnt schnell und unkompliziert. Auch fast alle Hardware-Komponenten wurden erkannt und die Treiber über Microsoft Update bereitgestellt. Die Studio-Hardware hatte ich dabei wohlweislich noch ausgeschaltet – zunächst sollte das System selbst rund laufen.

Auch alle Software-Komponenten, die zum reinen Büro-Betrieb gehören, ließen sich ohne Probleme installieren und benutzen, etwa Office 2007, Windows Live, der Adobe Reader usw.

Nun gibt es einige Dinge, die bei einem PC, der für Büro-Tätigkeiten genutzt wird, unwichtig sein mögen, bei der Nutzung im Studio jedoch essentiell wichtig sind. Dazu gehört die Installation der Treiber für den Chipsatz des Mainboard. Arbeitet man hier mit den Standard-Treibern, dann nutzt man nicht das volle Potential der Hardware aus, und man stößt bei sehr aufwändigen Projekten (z.B. Mastering einer 48-Spur-Aufnahme mit Echtzeit-Hall-Berechnung) früher als nötig an die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Rechners. Außerdem kann es bei Hardware-nah programmierten Treibern zu Instabilitäten kommen. Und damit komme ich zur nächsten Kategorie:

 

2) Funktioniert im Kompatibilitäts-Modus ohne Einschränkungen

Viele Treiber gehören in diese Kategorie. Wird ein Treiber über Microsoft Update bereitgestellt, dann kann man davon ausgehen, daß er auch installiert werden kann, da er ohnehin nur angezeigt wird, wenn die Relevanzprüfung erfolgreich abgeschlossen wurde. Lädt man einen Treiber jedoch von den Seiten des Herstellers herunter, bekommt man ihn meistens in Form einer Applikation, die ihrerseits die Relevanzprüfung durchführt. Die schlägt fehl, wenn nach einer konkreten Build-Nummer gesucht und ein höherer Build automatisch abgelehnt wird. Genau das passierte mir bei der Installation der Chipsatz-Treiber. Es gibt dann zwei Optionen, die Treiber doch zu installieren:

  • Entpacken und über den Geräte-Manager installieren. Damit ist die Relevanzprüfung des Herstellers umgangen, das Betriebssystem prüft jedoch nach wie vor, ob der Treiber zur Hardware paßt und ggf., ob er signiert ist.
  • Anwendung des Kompatibilitäts-Modus. Also: Rechts-Klick auf die Datei, “Troubleshoot compatibility”, Auswahl von ‘Vista’ als letztem zertifizierten Betriebssystem. Damit ist die Relevanzprüfung nicht umgangen, sondern ausgetrickst, da das Betriebssystem jetzt meldet, es sei Windows Vista (es passiert auch noch einiges mehr, das aber hier nicht relevant ist).

Ich habe mich für den Kompatibilitäts-Modus entschieden, da so manches Setup noch anderes tut, als lediglich Treiber zu installieren. Will man 100% der Funktionalität einer Komponente zur Verfügung haben, dann sollte man zumindest genau prüfen, was das jeweilige Installationsprogramm des Herstellers so alles macht, bevor man sich entscheidet, Treiber über den Gerätemanager zu installieren. Sonst kann es einem passieren, daß man für sein Audio Interface ein ‘Audio Processing Object’ (APO, also z.B. MIC Boost, Loudness u.ä.) des Betriebssystems anstelle des speziell für das Interface optimierten APOs des Herstellers benutzt. Das Einrichten des Kompatibilitäts-Modus ist sehr einfach und selbsterklärend, und die Treiber-Installation funktionierte damit auch fehlerfrei. Natürlich ist aber der Kompatibilitäts-Modus kein magisches Werkzeug, das auf wundersame Weise ansonsten inkompatible Software zum Laufen bringt – die grundlegende Kompatibilität muß gegeben sein!

 

3) Funktioniert im Kompatibilitäts-Modus, jedoch mit Einschränkungen

Für einige der Studiohardware-Komponenten half mir jedoch auch der Kompatibilitäts-Modus nur bedingt weiter. So konnte ich zwar den ASIO-Treiber meines Audio-Interfaces im Kompatibilitäts-Modus installieren, zu dem Interface gehört jedoch auch eine Steuerungs-Software, die einige Parameter regelt, die über die Knöpfe und Regler am Interface selbst nicht zugänglich sind. Diese Steuerungssoftware ließ sich leider überhaupt nicht installieren. Mit Hilfe unseres Supports hätte ich wahrscheinlich herausfinden können, was genau das Setup vom System abfragt, und wahrscheinlich hätte man mit Hilfe des Application Compatibility Toolkit die Installation doch noch erfolgreich durchführen können, da hier noch wesentlich mehr Parameter zugänglich sind als beim Kompatibilitäts-Modus.

Ein weiteres und eher kurioses Beispiel für diese Kategorie ist mein virtuelles Symphonieorchester. Virtuelle Instrumente sind mittlerweile atemberaubend gut; mit dem Produkt, das ich verwende, werden z.B. Filmmusiken zu Kinofilmen realisiert. Die Qualität dieser Sample-basierten virtuellen Instrumente ist direkt proportional zur Größe der Sample-Bibliotheken, und daher ist in diesem Fall die Installation zweigeteilt: zunächst wird die Applikation selbst installiert und danach die 30GB große Bibliothek. Das Setup ließ sich wiederum nur im Kompatibilitäts-Modus starten und installierte die Applikation fehlerfrei, die Applikation lief dann auch ohne Fehlermeldungen. Nur die Bibliothek wurde nicht installiert. Es zeigte sich, daß die Installation der Bibliothek nur ohne Kompatibilitäts-Modus funktioniert! Der richtige Modus wird aber für die Applikation, d.h. in diesem Fall für das Setup, gespeichert, und wenn man das Setup nochmals aufruft, um die Bibliothek zu installieren, läuft es automatisch wieder im gleichen Modus. Das ist in fast allen Fällen auch gut so – warum den Modus immer wieder neu einstellen müssen? In meinem Fall mußte ich den Wizard ‘Troubleshoot compatibility’ nochmals aufrufen und die zuvor getroffene Auswahl rückgängig machen, danach lief der zweite Teil der Installation erfolgreich durch.

 

4) Funktioniert überhaupt nicht!

Ja, auch für diese Kategorie habe ich ein Beispiel gefunden, und das ist auch der Grund, warum mein PC jetzt doch wieder unter Windows Vista läuft. Es betrifft ein Programm, bei dem ich eigentlich auch nicht damit gerechnet hatte, daß es laufen würde, und zwar deswegen, weil es bereits unter Windows Vista nur durch einen – allerdings vom Hersteller bereitgestellten – Trick zum laufen zu bekommen war. Das Programm benutzt einen Dongle, und die Software zur Steuerung des Dongles ist unter Vista nur unter x86 lauffähig. Für x64 gibt’s den offziellen Trick, der auch ziemlich gut funktioniert, aber eben nur unter Vista. In Windows 7 lief zwar die Steuerungs-Software, die Applikation konnte sich jedoch nicht darüber autorisieren. Spätestens jetzt sind wir an einem Punkt, wo Support durch die Hersteller nicht mehr zu erwarten ist, und damit bei einem sehr validen Argument, in einer produktiv genutzten Umgebung auf Windows 7 vorläufig noch zu verzichten.

Mit freundlichen Grüßen!

 

Ralf M. Schnell