Der (Virtual) Reality Check – funktioniert Kreativität per Skype?

Im Rahmen des interkulturellen Theaterprojekts PHONE HOME befasst sich Michael Sommer als Gastautor auf dem Microsoft Presseblog mit den Themen der Digitalisierung, vernetztem Arbeiten und Kommunikationstechnologien im Kontext des Theaters. Er leitet als Artistic Director den deutschen Teil von PHONE HOME für das Pathos München. Das internationale Projekt findet in Kooperation mit Theaterhäusern in London und Athen statt – vernetzt durch Microsoft, indem Skype eine Verbindung zwischen allen Bühnen schafft und die Aufführungen in den verschiedenen Städten zu einer zusammenführt.

Zu Beginn der Planung für PHONE HOME hatte keiner der Beteiligten je etwas Vergleichbares realisiert. Wir hatten lediglich die Idee, drei Theater in London, München und Athen per Skype miteinander zu verbinden, um so eine internationale Bühne für ebenso internationale Themen zu schaffen: Wie kommunizieren wir über Flucht und Migration? Wie erhalten wir die Verbindung zwischen Zuhause und der Fremde?

Der Plan: In einer Recherchephase, die Workshops mit Flüchtlingen beinhaltet, erforschen wir das Thema in den drei Ländern getrennt. Dann treffen wir uns persönlich, um unser Material in einem Workshop mit Schauspielern zu entwickeln.

Vom Plan zur Umsetzung

Dieser Workshop war das erste Treffen der drei PHONE HOME Teams und fand im April 2016 in München statt. Obwohl wir die Woche detailliert geplant hatten, verlief sie völlig anders als erwartet. Die überraschendste Erfahrung: Wir alle brauchten Zeit, um uns persönlich, face to face, zu unterhalten. Es war deshalb überraschend, weil wir bereits seit Jahren im Gespräch waren - per Skype. Während unserer vorbereitenden Skype Telefonate hatten wir aber nicht alle unsere Erwartungen verbalisiert und es gab Gesprächsbedarf in der wirklichen Welt.

Skype als Fenster zur RealitätReality-Check-Pic

Ich glaube, der Grund für diesen Gesprächsbedarf war, dass man für die gemeinsame Kreativität per Skype eine andere Art Disziplin benötigt, als in einer persönlichen Begegnung – eine Kompetenz, die es für uns zu lernen galt. Ich habe in einem früheren Blogbeitrag betont, dass Skype große Vorteile gegenüber Telefonaten hat, weil es Gestik und Mimik in die Kommunikation einschließt. Doch obwohl so ein Fenster zum Gegenüber geöffnet wird, ist es doch nur ein Ausschnitt aus der Welt, in der unser Gesprächspartner lebt. Wir verhalten uns anders online, als wir es in der realen Welt tun.

Diese Differenz ist vielleicht mit dem so genannten Code Switching vergleichbar: Wenn wir mit unserer Familie sprechen, tun wir das oft mit einem anderen Akzent als wir ihn etwa im Beruf verwenden. Wenn wir online miteinander sprechen, performen wir gewissermaßen für den Bildschirm, zumindest, wenn wir unser Gegenüber nicht gut kennen.

Online-Kreativität durch Übung und Vertrautheit

Zurück zum Workshop. Am Ende der Woche hatten wir viele vorgenommene Ziele erreicht: Aus drei Teams nur eines gemacht, Geschichten identifiziert, ein noch besseres Gefühl für das vernetzte Arbeiten gewonnen. Außerdem haben wir eine wertvolle Einsicht erhalten: Es ist wunderbar einfach, sich ungezwungen per Skype zu unterhalten, Informationen auszutauschen oder Geschäftliches zu regeln. Um online miteinander vernetzt aber wirklich kreativ sein zu können, benötigt man darüber hinaus Übung und große Vertrautheit – mit der Technologie und mit dem Gesprächspartner.

Für mich ein schönes Fazit unseres Workshops, das erklärt, weshalb unsere Teamkommunikation innerhalb des Projekts sehr gewonnen hat. Anfang September kam nun der größte Teil des Gesamtteams zum Start der Proben in Athen persönlich zusammen. Ich bin sicher, dass wir uns in der nun stattfindenden Probenphase zu echten Native Skype Artists entwickeln werden.

Ein Beitrag von Michael Sommer, künstlerischer Leiter des vernetzten Theaterprojekts PHONE HOME.

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