#Schichtwechsel: Szenarien für den Arbeitsmarkt 2030

Hilfe, die Roboter kommen! Mit dieser Schlagzeile könnte man zurzeit die Debatte um die Zukunft der Arbeit auf den Punkt bringen. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass nicht eine Studie mit den neuesten Berechnungen und Zahlen erscheint, wie viele Jobs von künstlicher Intelligenz und Automatisierung bedroht seien. Aber es gibt auch durchaus Stimmen, die Roboter im Mittelpunkt einer, neuen besseren Arbeitswelt sehen – eine Welt, in der uns Maschinen beschwerliche und routinelastige Tätigkeiten abnehmen, so dass wir freier und selbstbestimmter arbeiten und uns auf unsere kreativen Potenziale konzentrieren können. Anstatt Jobverlust steht in diesem Diskurs eine starke, positiv besetzte Veränderung von Arbeit im Mittelpunkt.

Die Zukunft liegt irgendwo zwischen Utopie und Dystopie
Algorithmen spielen schon heute in unserem Arbeitsalltag eine große Rolle und unterstützen uns bei vielen Tätigkeiten. Aber genau so wenig wie Menschen können Roboter die Zukunft vorhersagen. Und diese Zukunft wird irgendwo zwischen den Extrempolen von Utopie und Dystopie liegen, die zurzeit den Diskurs beherrschen. Sie wird komplex sein und Elemente aus beiden Welten miteinander vereinen. Es wird viele Berufe geben, die mit Hilfe von Robotern aufgewertet werden. Gleichzeitig wird es auch Berufsbilder geben, die vom technologischen Fortschritt verdrängt werden.

Um sich mit diesen komplexen Veränderungen auseinanderzusetzen und den Diskurs über Chancen und Risiken des technologischen Wandels konstruktiv und gesellschaftsübergreifend voranzutreiben, haben die stiftung neue verantwortung und die Bertelsmann Stiftung ein sogenanntes ForesightLab organisiert. Im Rahmen eines Zukunftslabors haben wir 25 Arbeitsmarkt- und Technolgieexperten zusammengebracht, die innerhalb von zwölf Monaten sechs Szenarien zur Zukunft des Arbeitsmarkts entwickelt haben.

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Ein Blick in die Glaskugel?
Dabei ging es nicht darum, die Zukunft vorherzusagen, sondern mehrere denkbare Szenarien für einen von der Digitalisierung beeinflussten Arbeitsmarkt nebeneinander zu legen. Ziel dieser Methodik ist es, gesellschaftspolitische Herausforderungen zu erkennen, für die in allen sechs Szenarien erste Hinweise auf relevante Handlungsfelder enthalten sind. Mit diesen Szenarien-übergreifenden Themen sollten sich Wirtschaft, Gesellschaft und Politik auseinandersetzen. Denn mit den richtigen Strategien und Handlungsansätzen, können wir versuchen, auf ein besonders wünschenswertes Szenario hinzusteuern und negative Entwicklungen zu vermeiden oder abzumildern. Ein #Schichtwechsel steht uns zwar auf jeden Fall bevor. Wie dieser genau aussieht, ist aber nicht vorherbestimmt sondern kann von uns gestaltet werden.

Die Szenarien sind hier nur kurz zusammengefasst. Die Studie mit den vollständigen Szenarien und begleitender Analyse kann hier heruntergeladen werden.

 

  1. IT-Ingenieursnation mit Herzchen
    Industrie 4.0 ist die neue Erfolgsgeschichte der alten Ingenieursnation. Maschinenbauer und Automobilhersteller haben die digitale Transformation bewältigt und sorgen für Wachstum. Durch die fortgeschrittene Automatisierung und Vernetzung in der Produktion sind zwar viele Arbeitsplätze verloren gegangen. Trotzdem ist der Sozialstaat in der Lage, soziale Härten durch die Verknappung von Arbeit mit einem bedingungslosen Grundeinkommen auszugleichen.
  1. Erfolgreicher Datenstandort mit sozialen Konflikten
    Die Industrie hat durch die Digitalisierung an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Dagegen sorgt in Deutschland – angeführt von der Banken- und Versicherungswirtschaft – die Verwertung von Daten im Dienstleistungssektor für wirtschaftliches Wachstum. Datenschutzfragen sind gegenüber der Entwicklung und Nutzen neuer, datengetriebener Dienstleistungen in den Hintergrund getreten. Der Umsatz pro Mitarbeiter ist hoch, obwohl nur wenige Spezialisten benötigt werden. Gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben hochqualifizierte Wissensarbeiter, die über die notwendigen Fähigkeiten für eine datenintensive Wirtschaft verfügen und die Aus- und Weiterbildung selbst in die Hand nehmen. Die sozialen Sicherungssysteme werden durch fehlende Arbeitsplätze für Geringqualifizierte und der zunehmenden Frühverrentung der Babyboomer stark belastet.
  1. Rheinischer Kapitalismus 4.0
    Deutschland verfügt flächendeckend über eine hochmoderne digitale Infrastruktur. Die intensive Vernetzung in Beruf und Alltag wird in der Gesellschaft als eine Chance gesehen, die mehr Freiheit und Freizeit bringt. Die Arbeitswelt ist über Projekte und Plattformen organisiert. Überall sind neue Geschäftsmodelle und Geschäftszweige entstanden. Der Arbeitsmarkt ist weitgehend liberalisiert. Es existiert nur noch ein Mindestmaß an sozialer Sicherung, obwohl die deutsche Wirtschaft dank alter Stärken und neuer Kompetenzen weiterhin sehr wettbewerbsfähig ist.
  1. Digitale Hochburgen mit angehängtem Umland
    Deutschland ist geteilt – in wirtschaftlich leistungsfähige Städte und ländliche Räume mit nur wenigen Arbeitsplätzen und einer kaum ausgebauten digitalen Infrastruktur. Während innovative, international wettbewerbsfähige Unternehmen sich in den Städten angesiedelt haben, ist Deutschlands „Old Economy“ vor allem auf den ländlichen Raum konzentriert. Diese „Old Economy“ nutzt zwar neue, digitale Technologien – hat auf diesem Gebiet aber nur geringe, eigene Innovationskraft. Der Wohnort ist entscheidend für die beruflichen Chancen. Die Wirtschaftsstärke ist auf Metropolregionen konzentriert, die untereinander auf dem Weltmarkt konkurrieren. Mit der regionalen Verwerfung vergrößert sich die Einkommensschere.
  1. Digitale Evolution im föderalen Wettbewerb
    Die Bundesländer konnten mit ihrer Bildungs- Infrastruktur- und regionalen Wirtschaftspolitik entscheidenden Einfluss auf den digitalen Wandel der Wirtschaft nehmen. Sie stehen nun in einem intensiven Wettbewerb um mobile, hochqualifizierte Freiberufler. Es gibt Gewinner und Verlierer: Einzelne Bundesländer sind abgehängt und bieten deutlich schlechtere Lebensbedingungen. Dagegen ziehen die digitalen Vorreiter ausländische Investitionen an und verfügen über anpassungsfähige Bildungssysteme. Das starke Gefälle zwischen den Regionen hat zu einer sinkenden Solidarität geführt und macht Einigungen auf Bundesebene immer schwieriger.
  1. Digitales Scheitern
    Der Umgang mit digitalen Technologien wurde zu einem entscheidenden Kriterium für Wettbewerbsfähigkeit. Weder die Industrie, noch Politik und Regulierung konnte mit dem technologischen Wandel Schritt halten. Der Fahrzeug- und Maschinenbau wurden international von Konkurrenten verdrängt und digitale Hoffnungsträger aus dem Dienstleistungssektor von ausländischen Konzernen aufgekauft. Die alternde Gesellschaft ist technologieskeptisch. Es gibt eine Vielzahl von Arbeitssuchenden und jungen Zugewanderten, die aber aufgrund ihrer Qualifikationen einen wirtschaftlich lähmenden Fachkräftemangel nicht decken können. Es herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit und ein niedriges Lohnniveau. Das Sozialsystem wird überwiegend aus Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert.

 

Mehr zum Thema #Schichtwechsel kuratiert Microsoft auf diesem Tumblr, das Panel von Sabine Bendiek und mir auf der re:publica gibt es in diesem Live-Blog mit den besten Tweets zum Nachlesen.

 

Ein Gastbeitrag von Stefan Heumann, phd (@st_heumann)

Stefan Heumann ist Mitglied der Geschäftsführung, stiftung neue verantwortung. Er befasst sich mit gesellschaftspolitischen Fragen des digitalen Wandels. Eines seiner Projekte ist das ForesightLab, das sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt 2030 beschäftigt hat. StefanHeumann