Mein Leben mit XP

Der Oktober 2001 war kein Monat, in dem den Menschen so richtig zum Feiern zu Mute war. Die Ereignisse des Vormonats hatten die Welt nachhaltig erschüttert und der Launch von Windows XP war kein so reißendes Fest wie zum Beispiel die große Sause, die rund um Windows 95 gefeiert wurde.

Dabei gab es viel zu feiern. Denn Windows XP führte viele Dinge ein, die uns heute selbstverständlich erscheinen, damals aber zu Irritationen führten. So gab es auf einmal keine Trennung mehr zwischen dem Betriebssystem von einfachen Konsumenten (Windows 95) und Firmenkunden (Windows 2000). Zwar gab es Versionen mit unterschiedlichen Ausstattungsmerkmalen, aber das Herz des Systems war jetzt identisch. Und damit konnten Endkunden von der gleichen Stabilität profitieren, die zum Beispiel ein Betreiber eines Servers in einer Bank verlangte.

Nur war die Stabilität auf dem Papier so eine Sache. Oft genug sah ich auch als XP-Anwender der ersten Stunde den “Blue Screen of Death”. Eine Fehlermeldung, wenn Windows so richtig abgestürzt war. Heute ein Relikt (ich habe die letzten Jahre nur zwei solche BSODs gesehen, und jedes Mal handelte es sich um Hardware-Ausfälle), damals aber Begleiter gerade von Computerspielern oder Menschen, die gerne die neueste Hardware besaßen. Kurzum: mich. Denn die Programmierer außerhalb von Microsoft mussten sich langsam daran gewöhnen, dass sie jetzt nicht mehr alles durften. War es unter Windows 95 noch gang und gäbe, für einen (letzthin dann doch überwindbaren) Kopierschutz Vektoren zu verbiegen, Code zu verschlüsseln oder heimlich Treiber zu installieren, machte Windows XP hier nicht mehr mit. Klar, mit den gleichen Verfahren will sich auch böse Software im System verstecken. Als Windows XP Service Pack 2 (SP2) dann noch mehr Sicherheits-Mechanismen einführte, durfte ich mich immer wieder mit den Einstellungen des “Kompatibilitätsmodus” rumschlagen, insbesondere, als Lernsoftware für meine Kinder installiert werden sollte. Das erinnerte dann schon ein bisschen an autoexec.bat und config.sys, deren Einsatz ich eigentlich seit 1997 nicht mehr aktiv trainierte.

Und noch etwas anderes trat gerade mit SP2 in mein Leben: WLAN. Heute erscheint es uns trivial, ein neues elektronisches Gerät zu Hause mit dem Netzwerk zu verbinden. 2001 war das aber ganz anders. Netzwerkkarten brachten eigene Treiber mit und mehrfach saß ich mit einem Laptop da und suchte verzweifelt nach dem richtigen Diskettenlaufwerk, um das Softwarepaket des Herstellers für die WLAN-Steckkarte installieren zu können. Booten von USB-Sticks gab es übrigens auch nicht. Und eines meiner liebsten Werbegeschenke aus der Zeit, ein Kugelschreiber mit eingebautem USB-Stick von Xbox, hat heute nicht mal Liebhaberwert. 32 MByte Speicher, da passt so mancher einzelne Audiotrack von heute gar nicht drauf.

Die ersten Jahre mit XP waren eine Zeit des Zähnezusammenbeißens. Da lag die Zukunft auf der Festplatte, aber sie war sperrig, sah anders aus, als man es gewohnt war, und wollte nicht mit allen Relikten der Vergangenheit zusammenarbeiten. Noch 2003 war es viel bequemer, einfach auf einem “alten” Windows 95 Rechner zu bleiben und über dieses überkandidelte Stück Software mit 64-Bit, Media Center oder NTFS zu schimpfen. Wie ironisch, dann heute ähnliches zu hören, wenn es um Windows 8 geht und den Wunsch, doch lieber auf Windows XP zu bleiben, weil es da so schön gemütlich ist.

Posted by Boris Schneider-Johne
Produktmanager Windows bei Microsoft