Gastbeitrag von Svenja Hofert: Luther der Neuzeit oder spinnerte Idealisten? Theorie und Praxis der New Work

Ich liebe sie, die Theoretiker. Jetzt haben sie wieder zugeschlagen und ein Manifest an die virtuelle Wand geschlagen. Manifest, das hört sich nach Luthers Thesen an, nach Revolution und nach unumstößlich, nach Fortschritt und Zukunft. Und auch nach: guter PR. Zur Diskussion will man anregen, eine Debatte zum neuen Arbeiten entfachen. Kritisch darf, soll es sein. Nun bin ich eigentlich alles andere als „Old School“ – und dennoch sehe ich dieses neue Arbeiten nicht nur euphorisch.

Ist es nicht so: Ein Unternehmen, Microsoft, dockt sich an eine verschworene Gesellschaft meist in Berlin ansässiger Individualisten und Flexibilisten, Postmoderner, Expeditiver und Hedonisten, die den eigenen Arbeitsstil zum Credo der New Work erheben. Ein Unternehmen möchte Luther spielen und Geschichte schreiben. Könnten ja die Kunden von morgen sein.

Waren sie jemals in der Oberpfalz? Die New Work ist dort schöne graue Theorie. New Work bildet Kleckse auf der Landkarte. Man findet sie in den Großstädten als eine Lebens- aber noch öfter Denkform. Auf das ganze Bundesgebiet, auf Österreich, die Schweiz bezogen, sind echte New Worker so selten und rar wie wirklich aktive Twitternutzer. Aber natürlich, es werden mehr. Und jeder Anfang beginnt mit wenig, um dann immer mehr zu werden, ein irrationaler Trendlebenszyklus. Es wird als normal beschrieben, was die Ausnahme ist. Und weil so viel beschrieben wird, denkt man, die Ausnahme sei die Regel. Ein kognitiver Bias, Verfügbarkeitsheuristik genannt, entsteht. So wird die Lebens- zur Denkform. Die Charakteristika der Generation Y, erzählte neulich die Zeit-Autorin Kerstin Bund („Glück schlägt Geld“, Murmann-Verlag) auf einem Vortrag, sie beträfen letztendlich kaum 25 Prozent ihrer Generation. Kaum 25 Prozent können es sich leisten, Flexibilität, Balance, Internet for free und „intrinsify me“ zu fordern! Sagt Frau Bund. Ich tippe: weniger. Es gibt wenige echte New Worker, wenige die die Zukunft der Arbeit leben - egal welcher Generation sie angehören.

Ich liebe sie, die Theoretiker, weil ich Praktikerin bin. Mein Job ist es, Menschen zu neuen Jobs und mehr Zufriedenheit in der Arbeit zu verhelfen. Bei mir treffen sich die Fundamental-Unzufriedenen und die Luxusunzufriedenen, beide immer mehr gespeist durch die mediale New Work. Die Unzufriedenheit, die ich täglich sehe, ist sehr groß. Ich mache diesen Job seit 15 Jahren. Seit etwa fünf Jahren mehrt sich die Unzufriedenheit, die aus dem Vergleich entsteht: Für andere ist mehr drin als für mich! Das liegt auch daran, dass alle möglichen Leute Thesen aufstellen. Daran, dass wir überall von den glücklich befreiten New Workern lesen. Und es irgendwann für selbstverständlich halten, dass wir alle Freiheiten bekommen können. Aber natürlich ist die Freiheit eine Illusion, die New Work eine Idee, eine Art soziokulturelles Gen, das eine bessere Arbeitswelt erhoffen lässt, die es breitflächig noch nicht gibt.

Die Arbeitswirklichkeit ist eine andere: Menschen können und dürfen selten flexibel arbeiten. Politik spielt in den großen Firmen nach wie vor die dominierende Rolle, weshalb wirklich leistungs- und inhaltsmotivierte Menschen in den Konzernen ausgelaugt werden. Technologiefirmen wie Microsoft sind da fraglos weiter als Hamburger Handelshäuser, arbeiten mehr dagegen und tun mehr dafür – aber immer noch ist es so, dass es Machtspiele in den Unternehmen gibt, welche weder den Mitarbeitern noch den Kunden nutzen. Auch zwischen den alten Mächten und den neuen Kräften, denen die „New Work“ als Idee eingehaucht ist. Aber nicht nur. „Wir bauen lauter dreibeinige Stühle aus brüchigem Holz und schichten sie aufeinander. Und dann hoffen wir, dass es noch eine Weile hält“, beschreibt mir eine Kundin aus einem weltweit agierendem Technologiekonzern die Strategie. In einem Konzern, in dem die New Work längst zuhause sein sollte. „Ja, theoretisch, kann ich flexibel arbeiten“, sagt sie. „Aber praktisch kann ich dann gleich meinen Aufhebungsvertrag unterschreiben.“

Ich liebe sie die Theoretiker, weil sie keine Ahnung haben, wie Menschen wirklich sind. „Früher haben die Mitarbeiter Strategien exekutiert. Heute agieren sie selbst unternehmerisch“, schreibt Microsoft mit Marcus Albers in seinen 33 Thesen. Menschen kommen nicht unternehmerisch auf die Welt, wenn jemand kein Unternehmer ist, ist es harte Arbeit, ihn dazu zu machen. Und manchmal geht es auch gar nicht. Das Umfeld der Unternehmen ist nicht geeignet, unternehmerisches Denken zu fördern. Der Unternehmer hat eine Idee, verfolgt sie und bringt sie in den Markt. Der Mitarbeiter im Unternehmen muss sich schon die Idee kaputtreden lassen, wenn er sie überhaupt außerhalb eines betrieblichen Vorschlagswesens präsentieren kann. „Du bist, was das Umfeld aus dir macht“, ist eine These der Persönlichkeitspsychologie. Stimmt diese, man streitet noch über die Größe des Einflusses von Genen und Umwelt, dann ist es eine Illusion, Unternehmertum im Unternehmen zu fordern.

Ich liebe sie, die Theoretiker, weil sie idealistisch sind. Jeder soll nach seinen Talenten handeln. Doch Talente wachsen nicht auf Bäumen, sie werden gemacht. „Du bist, was andere in dir sehen“, lautet die Essenz des so genannten Rosenberg-Experiments, in dem einer Gruppe von Schülern eingeredet wurde, sie seien besonders intelligent, obwohl dem nicht so war. Sie entwickelten daraufhin ihre kognitiven Fähigkeiten besser als jene, denen dies nicht eingeflüstert worden ist. Die neuere Hirnforschung legt nahe, dass Training, etwa mit Neuro-Feedback, Menschen schlauer, emotionaler und möglicherweise auch unternehmerischer – risikofreudiger nämlich – machen könnte. Nur würden es diese neuen Entrepreneure vermutlich nicht lange in einem Konzern aushalten. Sie würden selbst ein Unternehmen gründen. Eine weitere These lautet so: „Früher suchten Unternehmen gute Sachbearbeiter. Heute suchen sie Mitarbeiter, die eine menschliche Beziehung zum Kunden aufbauen.“

Ich liebe sie die Theoretiker, und dieser Satz macht mich wirklich ärgerlich. Wo sind die Unternehmen die dies suchen? Zeigen Sie mir diese, bitte! Ich finde Sie nicht. Meine Kunden auch nicht. Die steigen reihenweise aus dem Vertrieb aus, weil Unternehmen eben keine Kundenbeziehung erlauben, sondern nur den Erfolg wollen – und zwar sehr, sehr oft: koste es, was es wolle und kurzfristig, nicht nachhaltig.

Ich liebe sie die Theoretiker, weil sie nicht nur idealistisch sind, sondern auch davon ausgehen, dass der Mensch so ist wie er ist und eben grundlegend gut und arbeitswillig. Interessanterweise zitieren viele New Worker auf Vorträgen im Jahr 2014 (!) das uralte Modell der Theorie X und Y nach Douglas McGregor. Es stammt – aus dem Jahr 1960! Die Vortragenden wollen damit beweisen, dass Menschen sich in einem fördernden guten Umfeld frei entfalten. Die Theorie ist durchaus umstritten. Es gibt nach wie vor Menschen, die mit X-Methoden, also autoritär geführt werden wollen. Und es gibt faule Leute, die sich nicht von allein reinhängen, auch nicht, wenn sie intrinsisch motiviert werden. Weitere Grenzen der New Work zeigt uns die globale Welt, mit ihren interkulturellen Teams. Wir dürfen nicht vergessen: Wir in Deutschland wie auch die USA haben eine vergleichsweise niedrige so genannte Machtdistanz, sind eine eher individualistische Kultur. Global sind die Regeln kaum zu vertreten. Was geschah mit Yahoo, als die Freiheit zu groß wurde?

Ich liebe sie, die Theoretiker, weil sie immer viel weiter und fortschrittlicher sind als wir Praktiker, denen die Realität zu nahe ist. Weil sie nur denken können, wie sie denken, da sie mit dem Durchschnitt, dem Normalen, dem Alltag nicht so viel zu tun haben – und meist auch gar nicht zu tun haben wollen. Umsetzung ist nicht ihr Thema, sondern Vordenken. Da darf man spinnen und muss sich nicht auf Fakten berufen. Und in gewisser Weise ist das auch gut so.

Von Svenja Hofert, Autorin, Outplacementberaterin, Karriereberaterin, Karrierecoach und Trainerin

 

Posted by Diana Heinrichs

PR-Managerin Vernetztes Arbeiten

 

Mit seinem Manifest fordert Microsoft eine Debatte zum neuen Arbeiten in Deutschland. Starre Büroarbeit soll flexiblen und mobilen Arbeitsverhältnissen weichen, traditionelle Hierarchien müssen sich auflösen und Unternehmen vielmehr wie ein Netzwerk arbeiten. Was Blogger, Wissensarbeiter und Vertreter der digitalen Gesellschaft dazu zu sagen haben, teilen sie uns in Gastbeiträgen mit.