Digitalisierung – Chancen und Herausforderungen für das Bildungssystem

Dieser Gastbeitrag von Dr. Seling ist im Rahmen des Digitalen Bildungspaktes entstanden. Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft und Arbeitswelt nachhaltig. Digitale Bildung ist daher entscheidend, wenn es um das Gelingen des Digitalen Wirtschaftswunders in Deutschland geht. Gemeinsam mit engagierten Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft hat Microsoft zu einem „Digitalen Bildungspakt“ aufgerufen. Frau Dr. Seling greift in ihrem Gastbeitrag dieses Thema auf und erläutert die Chancen und Herausforderungen an das deutsche Bildungssystem. Weitere Informationen sowie die aktuelle Diskussion zum Digitalen Bildungspakt finden Sie hier.

Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unsere Arbeitswelt mit hoher Geschwindigkeit. Wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Transformation zur digitalen Wirtschafts- und Arbeitswelt ist die Sicherung der hierfür notwendigen Fachkräfte über unser Bildungssystem.

Digitale Kompetenzen in der Schule umfassend vermitteln

Die intensive Förderung der „digital literacy“ kann nur gelingen, wenn die MINT-Bildung in Deutschland auf allen Stufen des Bildungssystems gestärkt wird. Digitale Kompetenzen müssen noch stärker als bisher zur Allgemeinbildung zählen. Auch wenn die internationale Vergleichsstudie ICILS den deutschen Schülerinnen und Schülern zwar eine ausbaufähige, aber vergleichsweise gute digitale Kompetenz attestiert, müssen informationstechnische Grundlagen sowie Medienbildung verbindlich in den Lehrplänen und stärker in der Lehreraus- und -weiterbildung verankert werden. Die ICILS-Studie widerlegt auch die weit verbreitete Annahme, Kinder und Jugendliche würden durch das Aufwachsen in einer von neuen Technologien geprägten Umwelt automatisch zu kompetenten Nutzern digitaler Medien.

Ausbildungsreife sicherstellen

Voraussetzung für digitale Kompetenz in Beruf und Alltag ist, die Ausbildungsreife im Laufe der schulischen Ausbildung sicherzustellen. Viele Jugendliche verlassen die Schule nicht mit dem erforderlichen Rüstzeug für die Ausbildung. Bildungspolitische Reformen müssen daher die Qualität der Schulen verbessern. Es ist Aufgabe der allgemein bildenden Schule, mit der Ausbildungsreife für alle Schulabgängerinnen und Schulabgänger eine anschlussfähige Ausgangsposition sicherzustellen. Die Ausbildungsreife umfasst dabei zum einen die schulischen Basiskenntnisse und zum anderen ein notwendiges Arbeits- und Sozialverhalten wie Durchhaltevermögen, Selbstorganisation und Teamfähigkeit („soft skills“) sowie die notwendige Berufswahlreife.

Ausbildungsordnungen bieten hohes Maß an Flexibilität für notwendige Anpassungen

Über die enge Einbindung der Arbeitgeberseite in die Erarbeitung neuer bzw. kontinuierliche Anpassung und Modernisierung bestehender Ausbildungsordnungen in der beruflichen Bildung können notwendige Veränderungs- und Aktualisierungsbedarfe der Unternehmen schnell realisiert werden. Die Ausbildungsordnungen sind flexibel, definieren Mindeststandards und lassen damit Raum für die Anpassung an unterschiedliche betriebliche Erfordernisse und an die technische Entwicklung – auch an die Digitalisierung.

Überfachliche Kompetenzen in Studiengängen stärken

In Studiengängen sollte ein grundlegendes Verständnis für digitale Arbeits- und Wirtschaftsprozesse vermittelt werden, wo immer dies nötig und sinnvoll ist. Klar ist: Alle Hochschulabsolventinnen und -absolventen brauchen stärker als bisher überfachliche Kompetenzen wie Management, Projektsteuerung und insbesondere IT-Wissen. Die Interdisziplinarität von Studiengängen ist unerlässlich und sollte weiter ausgebaut, die Zusammenarbeit von Fachdisziplinen unterstützt und die Förderung über Stiftungsprofessuren intensiviert werden.

Weiterbildung ist Königsweg

Der Königsweg zur Anpassung an die Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt ist Weiterbildung. Dabei ist auf eine arbeitsplatznahe Weiterbildung (on the job) und lernförderliche Arbeitsorganisation zu achten. Das Lernen kann nicht „auf Vorrat“, sondern sollte permanent und selbstgesteuert erfolgen. Digitale Medien, E-Learning und Blended Learning sind einzusetzen. Die notwendige Basis hierfür im Sinne von Selbstlern- und Medienkompetenz muss in der Erstausbildung gelegt werden. Auch bei der Qualifizierung von An- und Ungelernten, z. B. durch Ausbildungsbausteine, ist dies zu berücksichtigen. Insgesamt gilt es, die Verantwortlichkeit für berufliche Weiterbildung je nach Nutzen und Interessen zu teilen. In der Regel profitieren Beschäftigte und Unternehmen gleichermaßen von Weiterbildung. Sie sollten sich daher jeweils angemessen am Aufwand beteiligen und Verantwortung übernehmen.

Digitale Lerntechnologien ausbauen

Beim Einsatz von digitalen Lerntechnologien in Schulen und Hochschulen liegt Deutschland im internationalen Vergleich noch weit zurück. Der Einsatz digitaler Werkzeuge im Unterricht kann zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung führen. So können Jugendliche durch die Nutzung kollaborativer Lernplattformen Inhalte selbst mitgestalten. Durch den Einsatz von Lerntechnologien kann auch die Inklusion (barrierefreie Förderung leistungsschwächerer sowie Zusatzangebote für leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler) und die effizientere Einbindung der Eltern in den Schulalltag unterstützt werden. Die Kompetenz zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht ist bei den Lehrkräften kaum vorhanden. Der pädagogisch sinnvolle Einsatz von digitalen Lernmitteln muss daher in der Lehrerausbildung sowie in Fortbildungsangeboten fest verankert sein. Gleichzeitig ist nicht jede digitale Technologie auch als Fortschritt für den Unterricht zu werten.

####

_5620

Dr. Irene Seling ist seit 2012 Stellvertretende Leiterin Abteilung Bildung, Berufliche Bildung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Darüber hinaus ist sie Bologna-Expertin des DAAD und Vorstandsmitglied der BDA/BDI-STEM Initiative “MINT Zukunft schaffen”.