Achtsam bleiben

Ach, welch wunderbare Zeiten. Die Konjunktur läuft, Wirtschaft und Arbeitsmarkt vermelden Spitzenwerte am laufenden Band. Der Mindestlohn ist auch da, prekäre Jobs geraten aus dem Blick. Zeit also für Visionen. Warum auch nicht?

New Work heißt das Zauberwort. Es geht um die Arbeit der Zukunft. Doch was genau ist eigentlich neu?

Bislang vor allem die Aussicht. Hoffnung macht sich breit. Endlich nicht nur schöner wohnen, sondern auch schöner arbeiten. Das heißt dann Arbeiten 4.0. Viernull, eine Chiffre für die Digitalisierung von Märkten, Menschen und Arbeitswelten: Alles wird vermessen und vernetzt, vor allem aber smart. Maschinen kommunizieren mit Menschen. Robbys nehmen uns die bad jobs ab und rationalisieren nebenbei die Probleme des demografischen Wandels. Arbeit der Zukunft, das heißt: Selbstbestimmung, Kollaboration und Flexibilität. Arbeit erhält ein Upgrade und muss gar nicht mehr mühsam mit dem Privatleben vereinbart werden.

Arbeit ist Leben – es lebe die Work-life-Integration. Und das alles auf Augenhöhe: Vertrauen ersetzt Kontrolle, Hierarchien lösen sich auf. Der barrierefreie Zugang zu globalem Wissen stellt Autoritäten in Frage. Und überhaupt geht es künftig um Wissensarbeit. Schöne neue Arbeitswelt. Wer will das nicht? Wenn es denn so kommt.

Der Slogan ‚Vorsprung durch Technik‘ gilt vielleicht nicht für jedes Automobil, ganz sicher aber für die Machthaber digitaler Technologien und Algorithmen. Denn die Digitalisierung ist kein Zustand, sondern ein Katalysator für dynamische bis disruptive Veränderungen ganzer Marktstrukturen. Die Digitalisierung ermöglicht lukrative Geschäftsmodelle, verspricht enorme Effizienzpotenziale und damit neue Margen. Warum investieren Internetkonzerne wohl Milliarden in Start Ups und die so genannte Share Economy? Oder warum werden Stundenlöhne von Robotern in der industriellen Produktion errechnet?

Mit den ökonomischen Perspektiven des Digitalen wächst auch der Wettbewerbsdruck. Dafür wird das ganze Leben digital kommodifiziert – und damit auch die Arbeit. Beispiel Crowdsourcing – eine Option für inspirierende, vernetzte Zusammenarbeit, die allerdings gern als Mittel eingesetzt wird, um Kosten und Löhne zu drücken. Hier findet ein Down- und nur selten ein Upgrade von Arbeit statt. Arbeit wird verselbständigt und der globale Konkurrenzdruck an die Einzelnen weitergereicht – Fragen der sozialen Absicherung inklusive. Ein anderes Beispiel: Flexible, mobile Arbeit ist natürlich für Viele eine erfreuliche Aussicht. Doch ist es eigentlich gesund, wenn der Arbeitstag noch nicht endet, obwohl der Neue bereits begonnen hat? Wo bleibt die Freiheit, wenn wir – nach Zahlen gesteuert – utopischen Zielen hinterherlaufen, wir uns permanent selbst optimieren müssen oder mit hübschen Apps getrackt werden, um als ökonomisches Ich wettbewerbsfähig zu bleiben? Oder wie werden wir eigentlich damit klarkommen, wenn smarte Maschinen uns zur Arbeit anleiten, kontrollieren und korrigieren?

Die schöne neue Arbeitswelt lässt sich so einfach nicht konfigurieren. Es kann auch ganz anders kommen. Genau deshalb braucht es politische Gestaltung und wissenschaftliche Begleitung. Vieles ist noch offen. Wichtig ist, dass wir selbst offen bleiben – für die Chancen und Risiken, aber auch für plumpe Versuche, die Digitalisierung dafür zu nutzen, gesellschaftliche Commitments und Spielregeln außer Kraft zu setzen. Also, achtsam bleiben und nicht die Bodenhaftung verlieren. Nicht alles, was modern klingt, ist auch vielversprechend.

 

 

Ein Gastbeitrag von Oliver Suchy (46)
Studierter Politologe und Leiter des Projekts „Arbeit der Zukunft“ beim DGB-Bundesvorstand